Satire, Alltägliches und andere Absurditäten

 

Bilder sagen mehr als Worte

Es gibt Tage, da fühle ich mich von allen guten Geistern verlassen. In solchen Momenten sind Weltuntergangstheorien meine Lieblingslektüre. Im schlimmsten Fall verliebe ich mich in jene Theorie, die den Untergang in nur wenigen Tagen prophezeit. Dann geh ich, um mich die letzten Tage nicht zu langweilen, in meinen Lieblingsdrogeriemarkt. Den mit dem in Deutschland sooo selten gebräuchlichen Familiennamen – aber nicht Maier. Dort mache ich Beute der Extraklasse mit dem ultimativen Spareffekt: Fotos, ja Fotos. Der Markt an sich ist schon ein gewaltiges Erlebnis. Beim Betreten raubt einem der Duft von hunderten Parfums die Sinne. Germanys-next-Topmodels huschen in adretter Einheitskleidung durch die Gänge. Sie haben sämtliche Kosmetikprodukte ihres Marktes verschwenderisch auf ihre Gesichter drapiert. Mein Gang wird zu einem Laufstegschreiten. Ich bin es mir wert, und ich genieße die freundlich lächelnden Blicke der Regalbefüllerinnen. Ich nenne die einfach mal so, denn die wissen immer, wo man was findet. Sie wissen nur nicht was drin ist oder wozu man das Produkt benutzt. Das müssen die eigentlich auch nicht. Denn, was ich noch wissen muss, steht auf der Packung. Aber mal ehrlich, können sie sich vorstellen, dass man als Mann zwischen all diesen jungen Beautys seine Lesebrille aufsetzt, um die zwei Millimeter hohen Lettern auf den Verpackungen zu entziffern? Das geht nicht. Da schau ich dann einfach so zirka zwei Minuten mit leicht in Falten gelegter Stirn auf das Produkt. Anschließend noch auf ein Weiteres und packe eines davon in den Einkaufskorb. Wenn es sich zu Hause mit Lesebrille wieder mal als Vaginalcreme enttarnt, die haben die leider direkt neben dem Rasierschaum, ist mir das schon ein bisschen peinlich. Ich weiß nicht, ob die Regalbefüllerinnen sich vorstellen können, dass ein Mann selbstbewusst genug sein kann, Vaginalcreme für seine Frau einzukaufen. Eigentlich kann es mir auch gleichgültig sein. Wenn die Mädels beim nächsten Mal breiter grinsen, sieht das ja auch hübsch aus. Und bis dahin hab ich eh vergessen weshalb. Und ich kann mir, zwar unrasiert, aber mit Vergnügen immer noch die Fotos anschauen.

            Vier bis fünf Packungen kaufe ich in meinem Lieblingsdrogeriemarkt immer. Die nahezu schönste Erfindung zur Vermarktung beim Endverbraucher ist die Selbstbedienung. Die macht es mir möglich, Fotos, die wildfremde Menschen geschossen haben, in meinen Einkaufskorb zu packen. Ich achte natürlich darauf, dass die Adressen der Fotografen nahe beieinander liegen und mindestens ein männlicher Name dabei ist. So dass ich an der Kasse behaupten kann, ich nehme nicht nur meine sondern zusätzlich die meiner Nachbarn mit. Aber, da die Kassiererinnen eh nur vier Worte „guten Tag“, „auf Wiedersehen“ und natürlich Zahlen aussprechen, ist das eine bis dato nie benötigte Sicherheitsmaßnahme. Ist wahrscheinlich ohnehin alles rechtens. Schließlich bezahle ich ja dafür. Mache ich auch gerne. Ich bekomme eine mehr als angemessene Gegenleistung. Ich kenne nun die ganze Welt. Ich muss da selbst nicht hin. Ich krieg für das Geld, das eine Reise kostet, hunderte davon. Hochglanz oder matt, neun mal dreizehn oder zehn mal fünfzehn. Zugegeben, mit mehr oder weniger adretter Begleitung. Jedoch, manchmal sehr adrett und in gewagten Outfits und noch gewagteren Posen aufgenommen.

            Ich weiß jetzt, dass es auf der ganzen Welt außer einer unendlichen Vielzahl anderer Speisen immer Schnitzel mit Pommes gibt, normal groß und als Seniorenteller. Ich weiß, dass Reisende meist sehr fromm sind. Sie gehen im Urlaub oft in kleine und große Kirchen, manchmal in gigantische Kathedralen. Ich weiß, dass jede westliche Stadt mindestens einen riesigen kunstvoll verzierten Brunnen hat. Vielleicht um den Wäscherinnen früher die Arbeit zu verschönern. Etwa so, wie das heute beim Bügeln vor dem Fernseher ist. Ich weiß, dass man alte Statuen, Burgen und Tempel unbedingt ansehen muss, selbst wenn nur noch Trümmer übrig sind. Ich weiß, dass in manchen Zeiten Mangel an weißer Wandfarbe geherrscht haben muss. Weshalb in Schlössern die Wände bunt bemalt und teilweise mit Gold verkleidet wurden. Ich weiß, dass Reisende auf Märkten und in Bazaren knallig bunte Kleidungsstücke kaufen. Und dass diese sich im Urlaub sogar trauen, die schrillen Teile zu tragen. Ich weiß, dass es unzählige Strand-Bars an endlos langen von Palmen gesäumten Stränden gibt. Dort müssen sich die Reisenden bei Sonnenuntergang zu Cocktails einfinden. Das erscheint mir äußerst zeitraubend, da mehrmals am Tag die Sonne unterzugehen scheint – ohne jemals aufgehen zu müssen.

            Ich weiß nun, dass alle Ausländer unheimlich freundlich sind und alle Fremden sofort in den Arm nehmen, um dann mit ihnen gemeinsam ins Foto zu grinsen. Ich weiß, dass manche Urlauber Insektenliebhaber sind und sämtliche Kakerlaken in ihren Urlaubsdomizilen fotografieren. Ich weiß, dass einige Reisende ein besonderes Interesse an Architektur haben. Die fotografieren halb fertig gebaute Hotels aus jeder möglichen Perspektive. Ich weiß, dass ein Minirock in Arabischen Ländern die Blicke der umstehenden Einheimischen mehr als bei uns auf sich zieht. Ob der Fotograf oder die Rockträgerin das auch bemerkt haben? Ich weiß, dass man heutzutage Motocross mit Fahrrädern macht und trotz der blöden Strampelei mangels Motor glücklich dreinschauen kann. Selbst auf einem Dreieinhalbtausender-Pass. Ich weiß, dass Löwen in freier Wildbahn ständig gefüttert werden. Sonst würden die nicht so gelangweilt schauen, wenn massenhaft offene Jeeps mit Lebendfutter direkt neben ihnen parken. Ich weiß, dass die Weintrinkerphilosophie, Wein nur aus speziellen Gläsern trinken zu dürfen, nicht richtig sein kann. Wenn man ihn mit Strohhalmen aus Putzeimern trinkt macht Weintrinken offensichtlich erst richtig Spaß.

            Was ich überhaupt nicht verstehe ist, dass man im Rest der Welt fast immer glücklich ist. Weshalb Reisende, gleichgültig wo sie sich befinden, meistens breit grinsen. Ich wäre das sicher nicht, wo doch in manchen Ländern furchtbare Unordnung herrscht. Die Straßen sind dort staubig und durchlöchert wie die Autos, die offensichtlich nicht nach E-Norm besteuert werden. Das erkennt man an den dicken Rauchschwaden aus den Auspuffrohren. Manche Gegenden sind so trocken, dass man schon beim Betrachten der Fotos Durst bekommt. Die Sonne scheint so heftig zu strahlen, dass man mindestens einen Sonnenbrand auf jeder Reise bekommt. In manchen Gegenden achten die Einheimischen nicht sonderlich auf Aussehen. Sie tragen schmutzige durchlöcherte Kleidung und laufen teils barfuß durch die Straßen.  Besonders merkwürdig finde ich die Einheimischen, die in Wäldern leben und sich nichts Richtiges anziehen. Viele sind sogar ganz nackt. Manche Männer haben ein Kondom aus einem Holzrohr über ihren Penis gestülpt – ohne Sex zu haben. Das Rohr binden die immer nach oben fest. Vielleicht wegen der stärkeren Schwerkraft dort im Wald, die den Frauen die Brüste bis zum Bauch runter zieht. Und die allgemein eine ungewöhnliche Kleinwüchsigkeit verursacht. Wahrscheinlich werden deshalb auch die Häuser besonders leicht gebaut, aus Blättern und Bambusstangen.

            Sehr schön finde ich die Lockerheit vieler Reisender. Zum Beispiel die von Eltern. Die freuen sich, wenn ihre Kinder sich mit Sand und Dreck beschmieren. Und die Mamis tragen freizügige Bikinis. Da werden Schwangerschaftsstreifen und Orangenhaut nicht wie zu Hause schamvoll verhüllt. Und die Papis lassen beim Fußballspiel mit ihren Kindern hemmungslos die Wampe hüpfen. Und Männlein wie Weiblein machen fleißig mit beim Strände Dekorieren. Selbst auf unbenutzte Liegestühle legen sie immer schöne bunte Badetücher. Nicht so schön finde ich, dass manche ihre Kleinen, bis zum Hals im Sand verbuddeln – wahrscheinlich um sie für irgendwas zu bestrafen. Offensichtlich finden die Kleinen das aber nicht schlimm und lächeln trotz dem glücklich ins Foto. Vielleicht, weil die jeden Tag Eis und Pommes mit Ketchup essen und sich dabei das ganze Gesicht verschmieren dürfen. Und, wenn sie dick und rund sind, dürfen sie fast den überall mit ihren tragbaren Spielkonsolen spielen.

            Meine Nachbarin hatte sich schnell von mir anstecken lassen. Schon bei der ersten Einladung zum gemeinsamen Betrachten der Fotos beschloss sie, ebenfalls dieses Hobby zu betreiben. Tolle Sache, denn fortan gab es die doppelte Anzahl Fotos zu sehen. Anfangs tauschten wir die Bilder einfach aus. Später sahen wir sie zusammen an. Wir begannen, Sammelalben anzulegen, mit reichlich Flächen zu allerlei Themen. Wir waren nun ständig auf der Jagd nach passenden Fotos, um die Alben zu füllen. Irgendwann kamen wir auf die Idee, die Motive nachzustellen. Das war meistens lustig, manchmal äußerst anstrengend, gelegentlich sogar gefährlich. Ein Mal machten wir beide Kopfstand, um ein Paar vor undefinierbarer Kulisse zu mimen. Es dauerte etwas, bis wir begriffen, dass wir das Foto falsch herum hielten. Das Foto mit der Reiterin, die von einem aufbäumenden Pferd fiel, bescherte mir, das Pferd darstellend, einen Bandscheibenvorfall und meiner Nachbarin blaue Flecken. Jedoch, gemeinsames Leid ist doppelte Freud. Nach einer Weile entwickelte sich eine enorme Vertrautheit zwischen uns. Wir wagten uns bald an alle Motive. Auch die mit Selbstauslöser aufgenommenen wilden Szenen in Hotelbetten. Die stellen wir noch heute am liebsten nach, neuerdings in unserer gemeinsamen Wohnung. Natürlich in unserem neu eingerichteten Schlafzimmer. Die Möbel dafür haben wir bei einer Hotelauflösung erstanden.

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